Text und Fotos: Peter Peuker
Ende Juni 2012 hatte ich die Möglichkeit eine Woche in den Lausitzer Wolfsrevieren unter fachfraulicher Anleitung unterwegs zu sein und dort meine Kenntnisse und Fertigkeiten im Monitoring zu schulen und einiges mehr über das Leben der Wölfe zu erfahren.
1. Tag
Nach 2 ½ Stunden entspannter Anreise komme ich im Oberlausitzer Wolfsgebiet auf dem von Wald umgebenen und direkt an der Spree gelegenen Platz an der Ruhlmühle an. Ich bin der einzige „Gast“ und meine Laika Hündin Dascha hat Auslauf auf über 10.000 m² eingezäunter und locker mit Bäumen bestandenem Wiesengelände.
Ich bin gespannt auf die kommenden Erlebnisse, die neuen Erfahrungen und Erkenntnisse über Wölfe, die mir die nächsten Tage bringen werden.
Den Abend verbringe ich mit einem deftigen Abendbrot aus der finnischen Lagerfeuerbratpfanne „Muurikka“ und einigen Zeilen aus einem Buch von Henning Mankell.
mein Camp an der Ruhlmühle
Deftiges aus der Muurikka
2. Tag
Die halbe Nacht hat es durchgeregnet und mir das Einschlafen im Zelt etwas erschwert. Aber am Morgen war der Boden schon wieder halbwegs abgetrocknet. Am Vormittag konnte ich mir aktuelle Fotofallenaufnahmen der diesjährigen Wolfswelpen im Welzower und Spremberger Revier ansehen. Auf einigen Aufnahmen haben die Welpen die Fotofalle entdeckt und sind dabei das „Ufo“ durch beschnüffeln zu untersuchen und unterziehen es einem Geschmacktest. Putzig!
Mit der Wildbiologin Cati und der angehenden Ökologin Nicole geht es als nächstes zur Fotofallenkontrolle im Revier der Welzower Wölfe. Hauptsächlich waren es Wildschweine die sich haben ablichten lassen, wie wir bei Prüfung der Aufnahmen auf den Speicherchips feststellen konnten.
Durchs Revier der Spremberger Wölfe wandere ich am Nachmittag alleine auf der Suche nach Spuren und Losung. Große Flächen Kiefernmonokultur und Besenheide sind hier vorherrschend. Wehe, wenn es bei Trockenheit zu einem Waldbrand kommt. Vorsorglich wurden im Wald Feuerlöschteiche angelegt. Für mich eine neue Erfahrung, da in den heimatlichen Wäldern im östlichen Brandenburg zahlreiche Seen als Löschwasserreservoir im Brandfall zur Verfügung stehen würden.
Am Abend stehen Grillen und Fachsimpelei sowie Smalltalk über Wölfe und was die Welt sonst noch so bewegt auf dem Programm.
Spurbild: übereilter Trab eines Caniden
Schlingnattern soll es häufiger in der Lausitz geben
(auf dem "ersten Blick" leicht mit einer Kreuzotter verwechselbar)
der "Weiße Berg"
3. Tag
Das Revier des Seenlandrudels ist unser heutiges Exkursionsziel. Für große Flächen besteht hier jedoch Betretungsverbot, da Rutschungsgefahr in Folge der bergbaulichen Nutzung besteht. Das Monitoring wird dadurch natürlich erschwert. Die Verhaltensbiologin Helene und Nicole sowie Cati und ich sind jeweils ein Team. Wir wollen vor allem nach Welpenspuren suchen, um auch hier Hinweise für Nachwuchs im Rudel zu bekommen. Cati erzählt mir auf unserer Tour, dass hier einmal eins der größten künstlichen Seensysteme Europas entstehen soll. Die Erdbaumaßnahmen dafür, bei denen gewaltige Mengen Boden bewegt werden müssen, sind im vollen Gange mit dem Ziel eine Verbindung zwischen den Tagebauseen zu schaffen.
Mit dem Auto müssen wir wegen den genannten Sperrungen das Revier des Seenlandrudels einmal zur Hälfte von Süd nach Nord umrunden. Eine fast 30 Minuten andauernde Fahrt über Lausitzer Landstraßen, bei der ich einen guten Eindruck über die wahrliche Größe eines Wolfsreviers bekomme. Welpenspuren finden wir nicht, aber einige z.T. frische für Genetik-Proben geeignete Wolfslosungen.
Um Wolfsbeobachtung geht es am Abend, d.h. Ansitz im Revier der Welzower. Unverhofft gesellt sich Reinhard, ein ortsansässiger Kenner der Wolfsszene, für eine Stunde auf dem Hochsitz zu mir.
Das Ergebnis nach fast 3 Sunden Ansitz:
• eine Rotte Schwarzkittel (2 führende Bachen mit 5 Frischlingen und 5 Überläufer)
• sowie einen unmittelbar neben dem Hochsitz ausdauernd mümmelnden „Meister Lampe“
Erdbaumaßnahmen im "Seenland"
Anblick beim Abendansitz
4. Tag
Ich bin immer noch alleine auf dem Platz an der Ruhlmühle. Es stört mich nicht, ganz im Gegenteil. Wie die Tage zuvor stehe ich um 7 Uhr auf. Nach der Morgentoilette geht es auf die „Morgen-Gassi-Hund-Runde“. Dascha fügt sich wie immer in alle Tagesabläufe sehr gut ein. Ich meine, dass sie fast alles tun würde, nur um dabei sein zu können. Lediglich beim Anblick von Wild bzw. deren Witterung wird sie renitent. Die Sicherungen brennen dann bei ihr durch und alle Hundeerziehung wird zu einer niemals erworbenen Unbekannten. Naja, ich sehe es ihr nach, denn sie ist eine Westsibirische Laika, eine wilde Russin. Unsere morgendliche Hunderunde führt über eine artenreiche Blumenwiese entlang des Spreeufers nordwestlich der Ruhlmühle. Nach 200 m stoße ich auf frische Canidenspuren (= hundeartige). Kräftig sind Vorder- und Hinterpfote in den sandigen Weg abgedrückt. Direkt daneben die Fluchtfährte eines kleineren Schalenwildes. Die Größe der Canidenspur könnte durchaus von einem Wolf stammen. Nach weiteren 50 m taucht plötzlich in nicht mal hundert Meter Entfernung ein Tier im hohen Gras der Wiese auf. Grau ist es, es ist kein Reh und kein Wildschwein. Es verschwindet hinter einer Anhöhe. Ich renne los und kann nach 25 m über die Anhöhe blicken. Dort sehe ich dann mehrere Sekunden den im Trab und langsamen Galopp entlang der Waldkante laufenden Wolf. Als er an einer Böschung im Wald verschwindet kann ich noch sehen, dass er ein Sendehalsband trägt. Auf Dascha hat sich meine Aufregung übertragen, aber sie hat nicht so richtig mitbekommen worum es geht.
Als ich zu der Stelle gehe, wo der Wolf in der Wiese aufgetaucht ist, liegt dort ein ganz offensichtlich erst vor kurzem gerissenes Rotwildkalb. Es gehört schon viel Glück dazu, einen Wolf in freier Wildbahn zu sehen. Aber einen Wolf am frischen Riss anzutreffen ist sicher etwas Einmaliges in unseren mitteleuropäischen Breiten. Aus Sicht des Wolfs ist das natürlich nicht so glücklich gelaufen, denn seine Beute, von der er nicht viel fressen konnte, ist er erst mal losgeworden und die fiel ihm schließlich nicht so einfach ins Maul.
Ich versuche mir vorzustellen was sich vielleicht in den letzten Stunde ereignet hat. Wie der Wolf das Kalb im Wald oberhalb der Wiese von seinem Rudel trennt. Das Kalb flüchtet im Verlauf der Jagd irgendwann auf die Wiese und über den Weg auf dem ich die Spuren von beiden gefunden habe. Es wird eingeholt und vom Wolf gestoppt und vielleicht zu Fall gebracht. Dann setzt er gezielt den Drosselbiss. Nach wenigen Sekunden wird das Kalb ohnmächtig und stirbt. Nach dem der Wolf die Innereien aus dem Körper seines Beutetiers entfernt hat, bis auf Herz und Lunge, die wir später im Brustkorb fanden, beginnt er zu fressen. Kurze Zeit später wird er von mir gestört und flüchtet. Meine Witterung kann er nicht wahrgenommen haben, weil ich gegen den Wind gelaufen bin. Vermutlich hat er mich gesehen oder gehört.
Natürlich ist dieser Hergang fiktiv, aber an Hand der vor und nach der Rissbegutachtung aufgefundenen Spuren und Zeichen könnte es sich ungefähr so zu getragen haben.
Ich verständige Cati und Nicole, die kurze Zeit später am Ort des Geschehens eintreffen. Unter Catis fachkundiger Regie wird nun die Rissbegutachtung durchgeführt. Das heißt alle Spuren über und unter dem Fell des Risses und im Umfeld werden protokolliert und fotografiert. Darüber hinaus werden Genetikproben an den erkennbaren Drosselbissstellen genommen.
Noch ganz unter dem Eindruck des Ereignisses vom Vormittag widme ich mich in der zweiten Tageshälfte der Feldarbeit im Revier des Spremberger Rudels. Am Abend bin ich mit André, einem ortskundigen und geschulten Wolfsbetreuer, im Territorium der Welzower Wölfe zum Ansitz verabredet.
Canidenspur mit kräftigen Bodeneingriff (kurz vor der Sichtung u. dem Riss)
frischer Riss
Entnahme der Genetik-Probe an der Stelle des Drosselbisses
Drosselbissspuren, die Eckzähne haben das Fell perforiert und Hämatome verursacht
5. Tag
Der Tag beginnt erst mal wieder mit Regen. Ich werde vom Prasseln aufs Zelt geweckt. Während der morgendlichen Hunderunde kontrolliere ich was am Riss vom Vortag zwischenzeitlich passiert ist. Vom weiten sehe und höre ich an der Stelle schon zwei Kolkraben. Der Kadaver ist jedoch verschwunden. Auf der regennassen Wiese ist eine schmale Spur im Gras zu erkennen, die darauf hindeutet, dass der Kadaver des Rotwildkalbes getragen und nicht über den Boden gezogen wurde. Ist der Wolf in der Nacht wieder zurückgekommen?
Mit Nicole und Helene geht es später ins Revier der Zschornoer Wölfe. Über Jahre gab es hier immer nur Nachweise eines Wolfspaares ohne Welpen, bis vor kurzem 3 Wölfe auf einer Fotofallenaufnahme zu sehen waren. Damit wurde aus dem Zschornoer Wolfspaar das Zschornoer Rudel. Das Revier erstreckt sich dies und jenseits der Neiße auf polnischem und deutschem Gebiet. Als wir an den Autos unsere Rucksäcke für die Tour packen stoppt neben uns ein Pickup, aus dem ein Herr steigt der sich als Waldbesitzer vorstellt und wissen möchte was wir hier machen. In der nur kurzen „Unterhaltung“ entpuppt er sich als Zeitgenosse, der gerne darüber bestimmen würde, wer seinen Wald betreten darf und wer am besten draußen zu bleiben hat. Ein wirklich netter Kerl.
Auf unserer ca. 14 km langen Tour finden wir erst am Ende einen alten Losungsrest. Auch die Kontrolle der Bilder der installierten Fotofalle erbrachte keinen aktuellen Wolfsnachweis.
6. und letzter Tag
Das Rotwildkalb von vorgestern wurde im Revier der Milkeler Wölfe gerissen. Ich versuche dort am Vormittag mit Dascha eventuell Reste des Kadavers und andere Wolfshinweise zu finden. Dascha wird auf Grund ihrer guten Nase fündig. Viel ist nicht mehr vom Kalb übrig geblieben. Die fleischlosen Knochenreste zeigen deutlich, dass verschiedene Verwerter im Verlauf der letzten 48 Stunden davon profitiert haben. Eine Wolfslosung an der mindestens 10 Mistkäfer aktiv sind, finde ich in der Mitte des Waldweges in unmittelbarer Nähe der Knochenreste.
Nach dem alles dokumentiert und fotografiert ist treffe ich mich mit Helene, um u.a. Welpenspuren im Revier der Spremberger Wölfe zu suchen. Wir finden auch Spuren, die von Welpen stammen könnten. Im Lausitzer Sand sind an verschiedenen Stellen ihre runden Abdrücke zu erkennen, die jetzt Ende Juni bereits einen Durchmesser von ca. 5 cm haben. An meinem letzten Tag bei den Lausitz Wölfen herrschen beinahe Backofentemperaturen. Es ist drückend heiß. Wer kann sucht einen schattigen etwas „kühleren“ Ort auf. Lange können wir unter diesen Bedingungen nicht unterwegs sein. Dascha hat auch ihre Not bei diesen Temperaturen.
Nachmittags sage ich dann „Tschüss“ und „Auf Wiedersehen“. Meine Sommertage im Lausitzer Wolfsrevier sind leider vorbei. Aber ich komme wieder!
Kadaverreste des Rotwildkalbes nach 48 Stunden
auf Monitoringtour
Nachtrag vom August 2012:
Wie sich später herausgestellt hat, handelte es sich bei dem besenderten Wolf, den ich am Riss überrascht habe, um die einjährige Wölfin FT8 ("Marie") aus dem Milkeler Rudel. Marie hielt sich zu diesem Zeitpunkt noch im elterlichen Territorium auf.
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