– Der Natur auf der Spur -
Text: Angela Willerscheid
Fotos: Moritz Pritzkoleit, Peter Peuker und Angela Willerscheid
Die Tour beginnt, bevor sie überhaupt so richtig losgegangen ist. Unser vereinbarter Treffpunkt im Südosten von Brandenburg nah der polnischen Grenze ist auf Google Maps tatsächlich ein unbekannter Ort!
Aber Peters detaillierte Beschreibung und die Navigation zum nächst bekannten Ort werden wohl reichen. Jetzt darf nur der Bulli, ein 17 Jahre alter VW T4, nicht schlapp machen! Vor zwei Tagen qualmte es auf einmal aus dem Motorraum – ich kann nur hoffen, dass es nicht der Turbo ist…
Die erste Etappe führt Freitagfrüh, vom südöstlichen Schleswig Holstein, in den Wildpark nach Groß Schönebeck in der Schorfheide im Norden Brandenburgs, wo Moritz auf mich wartet. Dann nochmal Lagebesprechung, Peters Wegbeschreibung checken und los geht’s mit der zweiten Etappe.
Der Bulli schnurrt wie eine sich räkelnde Katze Richtung Süden und die Straßen sind für einen Freitag untypisch leer – umso besser. Jetzt bloß nicht die Autobahnabfahrt verpassen, bevor wir in eine 18 km lange Baustelle und einen vorprogrammierten Stau auf der A12 geraten. Aber alles klappt wie am Schnürchen. Dass Reisen hungrig macht, ist allseits bekannt und so schrumpft der angelegte Vorrat an belegten Brötchen, Tomaten und Äpfeln im Turbotempo.
Bei Müllrose geht es endlich auf den Endspurt zu. Der einzige Radiosender, den wir noch empfangen können, ist ein polnischer und die Handys zeigen meist an: KEIN NETZ!!
Das fängt ja lustig an! Wir krümmen uns vor Lachen. Polnische Lieder sind ja auch mal ganz schön und wer braucht denn schon ständig ein Handy!? Früher ging es schließlich auch ohne. Den Rest der Strecke fahren wir ausschließlich nach Peters Beschreibung und unserem Menschenverstand.
Die Gegend wird immer einsamer. Es geht durch riesige Waldgebiete und die Abendsonne verspricht einen rotglühenden Sonnenuntergang und eine kalte Nacht.
Und dann liegt er vor uns – der Treffpunkt – Peter und seine Hündin Dascha empfangen uns schon am Eingang. Peter, unser Guide, ist im Brandenburger Wolfsmonitoring tätig, gelernter Forstmann und Jäger. Selber bezeichnet er sich gerne als Naturburschen.
Als wir auf den Hof unseres Basislagers fahren, kommen wir aus dem Staunen nicht raus: Ein Totempfahl mitten auf der angrenzenden Wiese, überall unglaublich dicke Holzstämme, in die Tiere und andere Motive geschnitzt sind, teils in Echt-, teils in Übergröße.
Der Platz selber wird von zwei Reihen Kastanienbäumen aufgelockert, dazwischen führt ein imaginärer Weg zum Hauptgebäude mit Speisesaal, WC-Bereich und zu einem überdachten Sitzbereich in gewaltiger Holzbaukonstruktion – und was für Einer! Phantastisch!
Wir parken direkt neben einem von ca. 15 Planwagen, die für Übernachtungen genutzt werden können.
Während Dascha uns neugierig beschnüffelt, klären wir drei den Ablauf des Abends. Also eine Kleinigkeit essen – das passt immer – und ein Vortrag zur Biologie und Ökologie des Wolfs mit Beamerprojektion. Die wenigen Gäste an den Nebentischen folgen interessiert und werfen immer mal wieder ein paar Sätze ein oder stellen Fragen; denn wir befinden uns hier ja mitten im Wolfsland!
Den Rest des Abends lassen wir gemütlich am Lagerfeuer ausklingen. Es ist schon fast frostig, eine sternenklare Nacht, so dass wir auch einige Sternbilder identifizieren können.
Samstag früh schauen wir uns das Gebiet, in das wir fahren wollen, auf einer Karte an. Dort sollen Fotofallen kontrolliert werden und natürlich werden wir uns auch auf Spurensuche begeben…
Mit stoischer Ruhe lässt Dascha zu, dass sie den Rücksitz nicht für sich alleine hat. Nur immer für kurze Zeit liegt sie flach auf der Bank. Spätestens beim nächsten Huckel oder einer Kurve muss sie wieder raus schauen: MAN KÖNNTE JA WAS VERPASSEN!! Und wenn es nur ein Wildschwein aus Plastik ist – täuschend echt steht es in einem Vorgarten – welches verbellt werden muss. Das ist auch das einzige Mal, wo sie überhaupt laut wird. Sie ist einfach unglaublich lieb und spätestens am Nachmittag hat sie Vertrauen gefasst und wirft sich auf die Rückbank mit dem Kopf auf meinen Schoß. Es ist ja auch einfach zu schön, die Hände in ihrem Pelz verschwinden zu lassen…
Der Tag verspricht sonnig und warm zu werden! Was haben wir für ein Glück! Und das nächste Glück in das wir versinken ist wohl unser LEBENSELEXIER: DER WALD.
Schon die erste Fotofalle präsentiert ihn uns: Den WOLF! Ende August ist er einmal des Weges gekommen. Auf den nächsten Wildkameras sind ab und zu Rehe, Wildschweine und Rotwild abgelichtet, aber kein Wolf mehr.
Was allerdings bei uns keine Enttäuschung auslöst, da wir wissen, wie außerordentlich groß ein Wolfsterritorium ist und eine Begegnung mit diesem Wildtier ist selten.
Zwischen den einzelnen Fotofallen, deren Standpunkte so weit auseinander liegen, dass wir die Strecken mit dem Geländewagen fahren, erkunden wir die Gegend in langen Rundgängen, die gespickt werden mit Peter‘s Berichten, wo schon Wölfe dokumentiert wurden. Unsere Augen kleben förmlich am Boden, um ja keine Spur oder Losung zu übersehen.
Dabei gewinnt auch der banale Mistkäfer, für den wir sonst vielleicht nur ein mitleidiges Naserümpfen übrig hatten, an immenser Bedeutung! Denn dieser weist den Weg zu der nächsten Losung! Was wir bisher noch nie gesehen hatten: eine komplette Mistkäferburg im Sand mitten auf dem Weg in einem wunderschönen Heidegebiet. Und dann liegt sie direkt vor uns: Wolfkacke!
Wer hätte gedacht, dass die Ausscheidung eines Wildtieres so eine Begeisterung hervorruft! Ähnliche Begeisterung gibt es wohl nur bei einem Kleinkind, das zum ersten Mal „Papa“ ruft und das Töpfchen statt Windeln benutzt.
Die Losung, so heißt der Kot der Tiere im Fachjargon, ist für eine DNA-Probe zu alt, aber trotzdem ein gefundenes Fressen, da wir alles darin finden, was für einen Wolf spricht: Haare, Knochenteile und Zähne.
An dem Tag soll das nicht die einzige derartige Losung sein, die wir finden. An einer besonders auffälligen Losung geht Peter mit uns das professionelle Procedere durch, das zu einer Dokumentation gehört. Moritz fertigt also ein Protokoll nach den erforderlichen Maßgaben an und macht Fotos.
Bei einer frischen Losung sind Einmalhandschuhe sehr wichtig! Bloß nicht mit eigener DNA verunreinigen! Peter sieht ALLES! Meine nicht vorhandenen Berührungsängste, was das Untersuchen von potentiellen Exponaten angeht, sorgt für allgemeine Erheiterung und die Feststellung: „Musst du immer alles anfassen!?“ Also kann ich mir hinter die Ohren schreiben: Finger weg von frischer Losung!!!
Diese eben gefundene wird trotzdem als Lockmittel für eine Fotofalle eingetütet, deren Standort wir noch bestimmen wollen. Peter erklärt uns dabei auch, nach welchen Kriterien er an welchen Orten Fotofallen aufhängt. Wir dürfen auch mal unsere Nasen an der eingetüteten Losung testen: Puh! Ein stechender Geruch; denn ein Fuchs hat über die Wolfslosung markiert!
Immer wieder finden wir auch einzelne Trittsiegel von Caniden und natürlich Schalenwild, deren Bestimmung nicht immer einfach bzw. eindeutig ist. Dabei erfahren wir die verschiedensten Gangarten und Laufbilder der Wölfe und wie deren Beschaffenheit sein muss um dokumentationstauglich zu sein.
Indessen verfolgt Daschas Nase eine Spur nach der anderen – was gäben wir darum, ihren Geruchsinn zu haben!
Das Gebiet, in dem wir uns bewegen, scheint unermesslich groß. Unendliche Wälder wechseln mit Heidegebieten ab. Wir durchstreifen auch ein großes Waldstück, das nach einem riesigen Flächenbrand neu entstanden ist und zum Teil wieder aufgeforstet wurde. Die Zeugnisse des Waldbrandes vor über zwei Jahrzehnten sind noch immer sichtbar.
Wald ist nicht gleich Wald:
Neben monoton angelegten Kiefernforsten, die in Streichholzformat wachsen, registrieren wir Waldbereiche, die sich nach modernen Kenntnissen der Forstwirtschaft verjüngen, also ein gezielter Umbau stattfindet, wie Peter uns erklärt. Ebenso sehen wir Bereiche mit großen Beständen von Traubeneichen, wo wir vermehrt Wildschweinspuren finden. An Wasserstellen in den Senken sehen wir noch mehr.
Suhlen, in denen Wildschweine ein Schlammbad genommen und sich danach an Baumstämmen abgerieben haben. An einem Baumstamm sind deutliche Zeichen eines Keilers, der dort seine Hauer gewetzt hat, zu erkennen. Borsten aus dem Fell der Tiere haften am Stamm des sogenannten Mahlbaumes.
Alte Baumstubben sind rundherum tief aufgegraben. Dort suchten Wildschweine nach Mäusen.
Und ab und zu hält Peter inne und fragt: „Hört ihr was?“ Nein, wir hören NICHTS! Nur das leiseste Rauschen der Bäume, einige Vögel – das war’s. Wir sollen aber noch etwas hören an diesem Wochenende, das unser Herz höher schlagen lässt….
Unser Zeitgefühl hat uns praktisch verlassen, der Tag erscheint wie eine Ewigkeit, so viele Eindrücke sind gewonnen.
Am Abend gibt es wieder einen Vortrag, diesmal zum Wolfsmonitoring. Also zu Methoden der Überwachung und Kontrolle der Wolfspopulation hinsichtlich der Anzahl der Tiere, deren Reproduktion, Ausbreitung, Gesundheitszustand sowie anderen bedeutsamen Fakten. Die Projektionsanlage bauen wir erneut unter dem Holzkonstrukt am Hauptgebäude auf, wo wir an einem riesigen Holztisch sitzen können. Auch diesmal verfolgen einige Gäste – auch in der Pampa ist der „Oktoberfestwahn“ angekommen – sehr aufmerksam die Thematik. Und wer hätte es gedacht – zwei unter den Zuhörern anwesende Jäger melden sich zu Wort.
Der ältere Jäger stellt skeptisch die Frage in den Raum, wie man sich das denn vorstelle, wenn es immer mehr und mehr Wölfe gäbe. Soviel Platz sei doch gar nicht vorhanden. Außerdem bemängelt er das Monitoring, dessen Sinn er nicht nachvollziehen könne. Das wäre ja schließlich kein Eingreifen in die Verbreitung der Wölfe.
Peter erklärt daraufhin, in welcher Form sich Wölfe Territorien erobern, wie groß diese sind und wie sich die Sozialstruktur eines Rudels zusammensetzt und Reproduktion sowie Abwanderung erfolgen, dass sich die Wölfe also nicht auf einer Fläche bis unendlich vermehren werden und können…
Der Informationsbedarf scheint offensichtlich immer noch sehr groß, obwohl wir im tiefsten Wolfgebiet sind!
Der andere Jäger, der zusätzlich Waldbesitzer ist, tritt sehr forsch auf und äußert sich rhetorisch provokativ, es müsse doch ein Managementplan her, der dem Problem ins Auge schaue! Nur Monitoring, das sei unangemessen und unzureichend, man müsse tätig werden, um dem Wolf Herr zu werden.
Moritz und mir stockt der Atem! Es knistert förmlich in der Luft vor Hochspannung. Es folgt eine stille Pause, in der wir die Pulsschläge in den Ohren fühlen.
Wir starren auf Peter, von dem wir überzeugt sind, dass er dieser Provokation sämtliche Winde aus den Segeln nimmt.
Und er schlägt mit sachlicher Information, die jeder Provokation eine Nekrose beschert, zurück:
Nicht der Wolf müsse gemanagement werden, sondern die Konflikte seien es! Und da sind in erster Linie natürlich die Nutztierhalter betroffen. Weiterhin ist es sehr wichtig, Fakten über den Wolf in Deutschland zu sammeln, um wissenschaftlich fundiert arbeiten zu können und das Monitoring erweist sich als ein bedeutsamer Teil davon.
Luftholen!
Die Hochspannung ist noch spürbar, aber das Gewitter verzieht sich, der Himmel klart auf.
Tatsächlich werden wir von dem Provokateur noch versöhnlich eingeladen, an dem Fest teilzunehmen.
Wir ziehen die Lagerfeuer-Runde vor – auch wenn es bitterkalt ist. Dascha zeigt irgendwann zu später Stunde deutlich an: Ich will zu Bett – mir reicht’s!
Der Mond hat fast seine volle Größe erreicht und lässt den Totempfahl gespenstisch leuchten. Es gibt nichts mehr außer dem Mond, das beruhigende Knistern des Feuers, völlig windstill – wenn da nicht Helene Fischer mit „Atemlos“ zu uns aus dem Festsaal herüber wabern würde!!!
Ein breites Grinsen geht durch unsere Runde. Sollen sie doch feiern. Wir haben unser Lagerfeuer und erzählen über Manitu und die weite Welt….
Sonntagmorgen:
Heute wollen wir eine Fotofalle an einem anderen Ort installieren. Noch ist Hochnebel, aber es deutet sich an, dass es wieder ein herrlich sonniger Tag werden wird.
Wir begegnen einem freundlichen Vokuhila-Typen, der uns gestern schon vom PKW aus nach einer Sehenswürdigkeit mitten im Busch gefragt hatte. Dieser erkennt uns im Gegenzug erst verspätet. In seiner Begleitung wieder sein Hündchen in XS-Format, was Dascha trotzdem auf den Plan ruft. Kurzes Geplänkel vom Auto aus zu dem Mann mit Fahrrad und Mini Hund. Weiter geht’s zu unserem Ziel, während wir uns prustendes Gelächter über diesen netten schrägen Typen nicht verkneifen können, der wie wir in aller Frühe am Sonntag durch die Wälder streift.
Dann sind wir da! Nur einen Hang hinunter und schon erreichen wir mitten im tiefsten Wald über einen sandigen Weg, der ideal für das Spurenlesen ist, einen kleinen See. Das Wasser glasklar, die ersten Nebelschwaden darüber - sichtbar durch die aufsteigende Sonne, hüfthohes Schilf am Uferrand und Seerosen auf der Wasseroberfläche, soweit das Auge reicht. Dascha, immer an der langen Leine, düst mit mir im Schlepptau und dem anderen Leinenende ab ins Schilf. Ihre Nase wie gesagt…
Die Verlockung, ins Wasser zu gehen wird nur dadurch gebremst, dass wir ja die Fotofalle aufbauen wollen. Noch ist aber nicht klar, wo genau sie hängen wird. Wir gehen zurück über den Hang am See entlang und plötzlich höre ich es durch die sonstige Stille: Ein dunkles langgezogenes sich wiederholendes Röhren! Wir harren in Bewegungslosigkeit aus und warten mucksmäuschenstill – nur Dascha schnüffelt unbeeindruckt einer Spur hinterher bis ihr unser statuenhaftes Gebären scheinbar zu blöd ist und sie sich gemütlich auf ein sonniges Plätzchen niederlässt.
Und wieder und wieder vernehmen wir die Brunftrufe, können die Richtung bestimmen, kommen so nah, bis nur noch ein kleiner See dazwischen liegt. Wir genießen einfach nur den Wald und die Sonne, die zwischen den Stämmen bunte Lichter projiziert.
Und die Fotofalle? Die wollen wir ja nicht vergessen. Peter begründet, warum der beste Platz vorerst unten an dem See ist. Dort muss der in Betracht kommende Baum vorbereitet werden.
Das heißt, störende Äste, die die Sicht behindern könnten, müssen entfernt werden. Außerdem wird auf Zweige geachtet, die im Objektivbereich der Kamera liegen und bei leichtem Wind schon über den Bewegungsmelder eine unnötige Auslösung aktivieren könnten. Es darf aber auch nicht zu viel abgesägt oder abgeschnitten werden, damit die Kamera nicht augenscheinlich auffällt.
Mit fast diebischem Vergnügen machen wir uns an die „Arbeit“, haben wir doch auf vorherigen Fotofallenaufnahmen erstaunt feststellen können, dass die Leute in die Kamera schauten ohne sie bewusst wahrzunehmen! Tarnung ist eben alles!
Dieses Wochenende neigt sich allmählich dem Ende zu, aber vorher haben Moritz und ich noch einen Test zu bearbeiten:
Zurück an unserem Basislager erhalten wir 20 Fragen um und über den Wolf und können dadurch reflektieren, was wir alles erfahren haben und was davon hängen geblieben ist. Das Ergebnis beweist unsere Aufmerksamkeit und das Interesse an diesem Wild- und Raubtier, dem man an diesem mystischen Ort mit seinen Holzskulpturen und dem Totempfahl, der örtlichen Einsamkeit und der Menschenleere, etwas Mystisches anhängen könnte…
Aber weder Mystik noch Verklärung werden diesem Tier gerecht, das einfach seine Daseinsberechtigung in unserem Ökosystem hat!
Peter, wir danken Dir von Herzen für diese Zeit!
FAZIT
Zu unseren Erwartungen und Hoffnungen:
Es gibt Menschen, die man fragt wo sie waren, und sie antworten: „Ich war im Wald.“
Und es gibt Menschen, die man fragt wo sie waren, und sie erzählen eine lange Geschichte…
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